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sobota 26. dubna 2014

So entging der Vertreiber-Präsident Edvard Beneš knapp vor dem Kriegsende einem Attentat

Eine sechsköpfige Gruppe von jungen Tschechen und Slowaken wurde im April 1945 aus Prag entsandt, um Edvard Beneš zur Strecke zu bringen. Der selbsternannte tschechoslowakische Staatspräsident verdankte sein Überleben möglicherweise nur einer Aneinanderkettung von Zufällen. Der Anführer der besagten Attentäter-Gruppe verstarb erst Ende 2011 in einer böhmischen Kleinstadt als verehrter und geschätzter Mitbürger – sein „Jugendgeheimnis“ nahm sich der Neunzigjährige mit ins Grab. 
Lukas Beer
Jan Svoboda als 21jähriger Funktionär des "Kuratoriums für die
tschechische Jugenderziehung" (links) und 2000 bei einer
Preisverleihung für Verdienste in der Ortsgeschichte.
Kaum einem Sudetendeutschen dürfte die folgende Geschichte auch nur einigermaßen bekannt sein – dabei müßte sie naturgemäß insbesondere in den Vertriebenenkreisen reichlich Aufmerksamkeit erregen, gilt doch der Name des tschechoslowakischen Staatspräsidenten Edvard Beneš seit jeher geradezu als Inbegriff der Vertreibung und Enteignung der deutschen Bevölkerung aus dem böhmisch-mährischen Raum nach 1945, und nicht zuletzt auch als verhaßte Personifikation des geschehenen Unrechts. Aber auch auf der tschechischen Seite ist dieser Teil der nationalen Zeitgeschichte bis auf eine Gemeinde eingefleischter Historiker und einschlägig interessierter Leser der Fachliteratur weitgehend unbekannt.

Mit dem Ausdruck „Attentat“ assoziieren die Tschechen fast ausschließlich immer nur ein bestimmtes, von der staatlichen tschechischen Historiographie überstrapaziertes Ereignis vom 27. Mai 1942. Damals verübten zwei von der Londoner „Exilregierung“ zuvor angeheuerte Fallschirmspringer Josef Gabčík und Jan Kubiš ihr verhängnisvolles Attentat auf den stellvertretenden Reichsprotektor Reinhard Heydrich. Der Anschlag auf Heydrich ging in die Geschichte ein und wird von so manchem zum einzigen erfolgreichen Attentat auf einen hohen NS-Funktionär in Europa hochstilisiert. Und kaum ein tschechischer Politiker kommt anläßlich verschiedenster Jahrestage und Nationalfeiertagsreden an diesem längst zum fixen Bestandteil der Staatsräson gewordenen Zeugnis des vermeintlichen kollektiven nationalen Widerstandswillens der Tschechen im Zweiten Weltkrieg vorbei.

Wie auch immer – die zu nationalen Helden erhobenen und vergötterten Heydrich-Attentäter hatten allerdings auch ihre nicht dermaßen glorifizierten Antipoden. Dabei hatten die Gegenspieler von Gabčík, Kubiš und Co. es auf niemand geringeren als auf Edvard Beneš abgesehen. Ende April 1945 machte sich eine Gruppe von drei Tschechen und drei Slowaken auf den Weg gen Osten, unmittelbar an die immer mehr heranrückende Kampffront. Ihre Aufgabe: nur zum Schein zum Feind überzulaufen, um dann in unmittelbare Nähe des im ostslowakischen Kaschau weilenden Präsidenten Beneš zu gelangen – und ihn zu ermorden. Beneš hatte seinen Aufenthaltsort jedoch im letzten Moment unvorhergesehen geändert und verdankt höchstwahrscheinlich nur diesem Umstand, daß das ruhmreiche Heydrich-Attentat exakt 3 Jahre später nicht auch noch ein für das neue tschechoslowakische Regime durchaus niederschmetterndes Nachspiel hatte. Kaum auszudenken, welche Folgen solch ein Ereignis für die Nachkriegsordnung in der vormaligen Tschechoslowakei gehabt hätte. Geschweige denn für die sudetendeutsche Volksgruppe selbst ...

Alles nahm in den Apriltagen 1945 in Prag seinen Anfang. Dem „Kuratorium für die Jugenderziehung in Böhmen und Mähren“, einer in vielerlei Hinsicht die Hitler-Jugend nachahmenden tschechischen Massenjugendorganisation (allein im Frühjahr 1944 gehörte ihr über eine halbe Million 10- bis 18jährige Tschechen an – das war immerhin die Hälfte der tschechischen Jugend im Protektorat) waren zahlreiche deutsche „Berater“ von der sogenannten Befehlsstelle der HJ in Prag zugeteilt. Es gab einen deutschen Hauptberater und 5 Berater für die jeweiligen „Gruppen“ des Kuratoriums (Verwaltung, Sport, Soziale Erziehung, Geistige Erziehung und Arbeitseinsatz der tschechischen Jugend). Der SS-Untersturmführer Dr. Krannich (siehe Bild) war einer von ihnen. Er soll den Plan, ein Attentat auf Beneš zu verüben, Anfang 1945 ausgeheckt haben. Eines Tages lud der Deutsche den 24jährigen Jan Svoboda zu sich ins Büro, um die Angelegenheit mit ihm unter vier Augen zu besprechen.

Links: Dr. František Teuner (Generalreferent des Kuratoriums für die Jugenderziehung in Böhmen und Mähren) mit SS-Untersturmführer Dr. Krannich. Rechtes Bild: Jan Svoboda. Foto: Archiv Lukas Beer.

Jan Svoboda (geb. 25. 1. 1921 in Brünn), war noch vor der Protektoratserrichtung ein „Vlajkist“ (Vlajka, tschechisch Die Fahne – vor 1939 eine radikale tschechische faschistische Bewegung, nach 1939 pro-deutsch und nationalsozialistisch). Svoboda trat 1942 aus der „Vlajka“ aus. Er arbeitete dann mit Dr. František Teuner (auch ein „Abtrünniger“ Ex-Vlajkist, späterer Generalreferent des von den Deutschen im Gegensatz zur „Vlajka“ mit allen Kräften geförderten „Kuratoriums“) zusammen. Bald wurden Vorbereitungen für die Gründung des „Kuratoriums“ getroffen, Svoboda wurde in diese Vorbereitungsphase 1942 einbezogen und unternahm auch mit anderen jungen tschechischen Männern im August 1942 eine „Studienreise durch das Reich“, die auch den Besuch der Berliner Reichsjugendführung und verschiedener HJ-Einrichtungen einschloß. Später avancierte Svoboda zu einem der wichtigsten Kuratoriums-Funktionäre mit aufrichtiger nationalsozialistischer Gesinnung. Nach dem Krieg wurde ihm von der tschechoslowakischen Justiz zur Last gelegt, eng mit dem deutschen Sicherheitsdienst im Protektorat kooperiert zu haben.

Jan Svoboda (1921-2011)
(in Kuratoriums-Uniform)
„Beneš ausschalten“

Krannich brachte dem jungen Tschechen Svoboda nahe, daß die Niederlage des Deutschen Reiches leider unausweichlich sei. National gesinnte Tschechen sollten seiner Ansicht nach unter diesen Umständen die Errichtung eines selbstständigen „böhmisch-mährischen Staates“ anstreben und es dürfe zu keiner Erneuerung der alten Tschechoslowakei kommen. Durch die Beseitigung, sprich: physische Liquidierung von Edvard Beneš, dürfte dieses Ziel leichter zu erreichen sein. Obendrein wäre es nach Krannichs Ausführungen nützlich, auf diese Weise einen offenen Zwist zwischen die tschechische Emigration im Osten und im Westen hineinzutragen. Man könne also Männer in die Slowakei entsenden, die dort verschiedene Sabotagen durchführen. Einige von ihnen sollen ein Attentat auf Beneš verüben – dieser weilte nämlich seit 3. April 1945 im ostslowakischen Kaschau (Košice), wo er die sogenannte „Kaschauer Regierung“ ernannt hatte. Krannich bat Svoboda, verlässliche Männer für dieses Vorhaben zu gewinnen.

Svoboda fand letztlich 5 weitere „Mitarbeiter“: Jiří Málek (Kuratoriums-Mitglied, 23 Jahre) und Vladimír Kaucký. Für die Attentäter-Gruppe konnten noch drei Slowaken gewonnen werden: Jozef Belan, Ladislav Depta und ein gewisser Danihel (alle drei waren Mitglieder der slowakischen „Hlinka-Garde“; sie waren aus der Slowakei vor den Russen geflüchtet). Die Teilnehmer wurden einer kurzfristig angelegten speziellen militärischen Schulung durch Deutsche in Eger und hauptsächlich in Prag unterzogen. Alle Teilnehmer wurden dann später mit Waffen (Revolver, Sprengstoff) und „anti-tschechoslowakischen“ Flugblättern ausgestattet.

Das Unternehmen startete am 28. April 1945: Die Männer kamen mit einem Schnellzug nach Prerau in Ostmähren und von dort anschließend nach Wsetin. Hier erhielten sie auch einen „Freipaß“ von der deutschen Militärverwaltung zwecks Überquerung der Front (am 2. Mai 1945). Zu diesem Zeitpunkt erfuhren die Attentäter jedoch vom Tod Hitlers und der Besetzung Berlins durch die Russen. Und ungeachtet dessen war die militärische Lage alles andere als ungefährlich. Einheiten der feindlichen „Ludvik-Svoboda-Armee“ hätten sich bereits in bedrohlicher Nähe in Anmarsch befunden. Zu der mährisch-slowakischen Grenze fehlten nur ein paar Kilometer, die man zu Fuß zu bewältigen hatte. Es kamen erste Zweifel auf: Sollte man das eigene Leben möglicherweise umsonst aufs Siel setzen? Der Krieg war ohnehin bald vorbei...  Die eine Hälfte der Männer wollte plötzlich aufgeben und umkehren, weil das Unternehmen unter diesen Umständen als zwecklos und höchst gefährlich erschien.

Die Gruppe von sechs Männern näherte sich unterdessen der slowakischen Grenze. In Neu Hrosenkau eskalierte der Streit aufs Neue. Unmittelbar in der Nähe drohte jederzeit ein offener Kampf zwischen den deutschen Truppen und der Ludvik-Svoboda-Armee zu entflammen. Hiesige Dorfbewohner sahen das Schlimmste auf sie zukommen, sie befürchteten sinnloses Blutvergießen auch unter der Zivilbevölkerung. Teilweise herrschte schon überall rundherum unter den Bewohnern Chaos. Svoboda, Málek und der Slowake Belan blieben hart und wollten ihr Vorhaben dennoch unbedingt zu Ende bringen. Und diese drei Männer überquerten in der Tat auch die mährisch-slowakische Grenze.

Sie „ergaben“ sich auf der anderen Seite gleich bei der nächsten Gelegenheit einer „tschechoslowakischen“ Wache und behaupteten, sich der tschechoslowakischen Armee anschließen zu wollen, um gegen die „Nazis“ kämpfen zu können. Daraufhin hat man sie in eine andere slowakische Ortschaft geschickt, um sich dort ordentlich verhören und anmelden zu lassen. Durch Zufall erfuhren die Attentäter während der Zugreise zu ihrer „freiwilligen Anmeldung“ (nur zum Schein), daß Edvard Beneš inzwischen Kaschau verlassen hatte und an diesem Tag zusammen mit den anderen „Regierungsmitgliedern“ nach Sillein (Žilina) reisen sollte. Die Rechnung ging definitiv nicht mehr auf...

Ab nun ging es ihnen nur darum unterzutauchen oder ihr Leben zu retten, bzw. sich ein glaubhaftes Alibi zu verschaffen. Sie wurden dann von einem Offizier nochmals verhört und dabei sollen sie (laut einem Verhörprotokoll) ihren Auftrag gestanden haben....

Jan Svoboda wurde nach dem Krieg, im Frühjahr 1947, zusammen mit den anderen führenden Kuratoriums-Funktionären vor das tschechische „Nationale Gericht“ gestellt und zum Tode verurteilt. Ein paar Monate später wurde er (paradoxerweise) ausgerechnet durch den „Todeskandidaten“ Edvard Beneš begnadigt und bekam „lediglich“ lebenslänglich ...

1963 wurde er nach 17 Jahre Kerker entlassen. Dann lebte er unauffällig weiter und redete über seine Vergangenheit nicht einmal mit seiner Ehefrau. Die meisten in seiner Umgebung hielten ihn für einen „antikommunistischen Widerständler“, der erst nach dem kommunistischen Umsturz im Februar 1948 inhaftiert worden sei. Die Wahrheit kannte offenbar keiner ...

Svoboda lebte seit 1978 in Wlaschim und widmete sich leidenschaftlich der regionalen Geschichte, veröffentlichte sogar zwei Bücher. Seine Umgebung, geschweige denn die tschechische Öffentlichkeit, wußte nichts davon, wie sich dieser Mann beinahe „verdient gemacht hätte“. Und sie weiß es bis heute nicht.

2011 hat der tschechische Historiker Ivo Pejčoch Details über das Attentat in seinem Buch veröffentlicht. Allerdings nichts Näheres (etwa Geburtsdatum dieses Mannes) verraten. Und den Namen „Jan Svoboda“ dürften in der Tschechischen Republik wohl Zehntausende Personen tragen. Dem Historiker war der Aufenthaltsort des Mannes bekannt, aber es bestand keine Gefahr, daß das sonst noch jemand von den Lesern herausbekommen könnte...

Anfang 2013 hat das Tschechische Fernsehen einen kurzen Beitrag über die Hintergründe des Attentates gebracht, jedoch die Namen der Akteure, also auch den Familiennamen von Jan Svoboda, hat der Reporter absichtlich nicht genannt und auch nicht die Ortschaft, wo Svoboda seinerzeit noch gelebt hatte.

Am 6. Dezember 2011 stirbt Jan Svoboda im nicht vollendeten 91. Lebensjahr. Kurz darauf erscheint in einem bedeutungslosen Gemeindeblatt ein unscheinbarer Nachruf auf einen hoch geschätzten freundlichen alten Herrn, der sich viel um die regionale Geschichtsschreibung seiner Heimatstadt verdient gemacht habe. Die Ortsgeschichte hatten auch zwei unter seinem Namen herausgegebene Bücher zum Thema. Die Verfasserin des Nachrufes behauptet in dem Artikel, Jan Svoboda habe nicht einmal mit seiner Ehefrau über die Hintergründe seiner Inhaftierung sprechen wollen. Nur andeutungsweise soll er manchmal vom „Hochverrat“ erzählt haben. Bemerkenswerterweise scheint nicht einmal die Verfasserin die wahren Zusammenhänge der damaligen Anklage gegen Svoboda zu kennen, denn sie gibt irrtümlich das Jahr 1948 als das vermeintliche Datum seiner Verurteilung an.

Offenbar glauben nach wie vor viele im Ort, einen verurteilten „antikommunistischen Widerständler“ gekannt, geschätzt und verloren zu haben.