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sobota 23. května 2015

Gründer der neuen SL Pecina: Tschechen werden nach Rückgabe des sudetendeutschen Eigentums vom tschechischen Staat vollends entschädigt

Tomáš Pecina spricht in einem Interview Tacheles zum Thema 
Entschädigung und Eigentumsrückgabe
Geht es nach den Vorstellungen des Aktivisten Tomáš Pecina, des Gründers der neuen Sudetendeutschen Landsmannschaft in Böhmen, Mähren und Schlesien, so führt der Weg einer aufrichtigen Aussöhnung zwischen den beiden Völkern nicht an der Rückgabe des nach 1945 geraubten sudetendeutschen Eigentums bzw. dessen materieller Entschädigung vorbei. Pecina begrüßte zwar in einem Interview die erst am Dienstag von der Brünner Stadtverwaltung beschlossene „Erklärung der Versöhnung“, in der das offizielle Brünn „aufrichtig die Ereignisse vom 30. Mai 1945“ – sprich die Vertreibung der deutschen Bevölkerung der Stadt und den darauffolgenden Todesmarsch – „bedauert“. Eine aufrichtig gemeinte „Entschuldigung“ müsse jedoch logischerweise auch weitere konsequente Taten folgen lassen, und nur bei der Versöhnungserklärung dürfe es nicht bleiben, meinte hierzu Pecina.

Diese Töne unterscheiden sich deutlich von der offiziell vorgegebenen Linie der Münchner Sudetendeutschen Landsmannschaft, die ausgerechnet an diesem Wochenende ihr traditionelles Pfingsttreffen in Augsburg ausrichtet – den 66. Sudetendeutschen Tag. Der sogenannte Volksgruppen-Sprecher und Bundesvorsitzende der Sudetendeutschen Landsmannschaft, Bernd Posselt, hatte sich erst kürzlich in einem Zeitungsinterview erfreut über die versöhnenden Äußerungen der Brünner Stadtspitze gezeigt. Posselt wurde von der Stadtverwaltung auch zu einer Gedenkveranstaltung für den Brünner Todesmarsch eingeladen, die am 30. Mai stattfindet. Der Brünner Oberbürgermeister Petr Vokřál wird zum Ende des Gedenkmarsches auch eine Entschuldigungserklärung auf Tschechisch und Deutsch verlesen.

Posselt hatte sich jedoch wiederholt entschieden von der neugegründeten Sudetendeutschen Landsmannschaft in Böhmen, Mähren und Schlesien (tschechische Abkürzung: SKS ČMS) distanziert und jegliche Zusammenarbeit von vornherein ausgeschlossen. „In der Tschechischen Republik sind unsere Partner die beiden Verbände der dort noch lebenden Deutschen. Unsere Interessenvertretung ist das von uns eingerichtete Sudetendeutsche Büro in Prag. Mit der sogenannten SL in Böhmen wollen wir aber nichts zu tun haben“, bekräftigte Posselt erneut seine Haltung im Gespräch mit der Schwäbischen Zeitung. Zudem kündigte er an, juristische Schritte gegen die neue SL zu unternehmen.

Pecina: „Den vermeintlichen Eignern des geraubten sudetendeutschen Vermögens soll ein entsprechender Ausgleich zustehen.“

Pecina zeigt sich von der harschen Abfuhr aus München indessen unbeeindruckt. In einem aktuell veröffentlichten, etwa einstündigen Videointerview, geführt in tschechischer Sprache, beleuchtet er neben vielen geschichtlichen Themen und Fragen der bisher gewährten finanziellen Entschädigung von Deutschen, die infolge des Zweiten Weltkrieges und seiner Nachwirkungen Vermögensschäden oder besondere andere Nachteile erlitten hatten (Lastenausgleichsgesetz), sehr offen auch jene Themen, um die die offiziellen Vertreter der Münchner SL mittlerweile einen sehr großen Bogen machen. Er spricht im Interview unverhohlen über mögliche Eigentumsrückgabe bzw. materielle Entschädigung für die Opfer der Vertreibung und Enteignung und deren Nachkommen und gar vom Rückkehrrecht der Vertriebenen.

Zwangsläufig schüren solche „Zukunftsvisionen“ bei der tschechischen Bevölkerung im ehemaligen deutschen Siedlungsgebiet berechtigte Ängste vor einer neuen Vertreibung und Enteignung, diesmal ausgehend von der „anderen Seite“. In der Vereinssatzung der SKS ČMS wird das Recht der Opfer der Vertreibung auf „Schadenersatz sowie auf Wiedergutmachung des erlittenen nichtmateriellen Verlustes und auf Wiedererlangung des Eigentumsrechtes an dem widerrechtlich konfiszierten Vermögen“ anerkannt. Der von Tomáš Pecina ins Leben gerufene Verein besteht allerdings gleichzeitig darauf, daß den derzeitigen Besitzern, den vermeintlichen Eignern in der Tschechischen Republik ein entsprechender Ausgleich für die zurückzugebenden Vermögenswerte seitens des tschechischen Staates zusteht. Tschechen bzw. Personen anderer ethnischer Herkunft, die 1945 oder danach ihr (ursprünglich sudetendeutschen) Besitz erworben hatten, dürfen keineswegs die neuen Leidtragenden der kommenden Rückgabe sein, bekräftigte Pecina. Dem solle ein zu errichtender tschechischer Entschädigungsfonds effektiv entgegenwirken. Angst der Tschechen vor der Rückgabe des sudetendeutschen Eigentums sei daher unbegründet, denn man müsse Sorge dafür tragen, daß letztendlich beide Seiten, Tschechen und Deutsche, und „ihre gemeinsame Heimat“ davon profitieren. Pecina meinte ferner, diejenigen Sudetendeutschen, die zurück in ihre Heimat ziehen würden, könnten durchaus auch ihr „Know How“ mitbringen und dieses beim Aufbau zugunsten der gemeinsamen Heimat umsetzen.

„Und wo kommen die dort lebenden Bewohner nun hin?“

Auf die Frage des Interviewers, ob die im ehemaligen deutschen Siedlungsgebiet lebenden Tschechen nun aus ihren Häusern und Städten wegziehen müßten, antwortete Pecina: Diesen Menschen sollte in erster Linie ein Ausgleichsrecht für das „vorgetäuscht verkaufte, beziehungsweise gewidmete Eigentum“ zustehen, wobei man dann zwischen mehreren Optionen wählen könne. Beispielsweise könnte der jetzige Besitzer nach Absprache mit dem ehemaligen deutschen Eigner (bzw. seine Erben) das Haus oder Grundstück für die ihm auszuzahlende finanzielle Entschädigung wieder „als rechtmäßiges Eigentum erwerben“ oder andernfalls, sollte es etwa zu keinem Einvernehmen kommen, auch im selben Ort andere Immobilien erwerben. Allerdings müßte parallel auch eine Art Rückerstattungspflicht der Vertriebenen für die aus dem deutschen Lastenausgleichsfonds empfangenen Aufbauhilfen (etwa 1/10 des Wertes der in der Heimat zwangsweise zurückgelassenen Habe) zum Tragen kommen.

Chefredakteurin des deutschen Minderheitenblattes in Tschechien verzehnfachte tatsächliche tschechische Opferzahl des 2. Weltkrieges

Unmittelbar nach der abgehaltenen Gründungsversammlung der SKS ČMS Anfang April in Prag meldete sich auch die Chefredakteurin von LandesEcho, des Presseorgans der Dachorganisation regionaler und örtlicher Verbände der deutschen Minderheit in der Tschechischen Republik, zu Wort. „Diese komische Bürgervereinigung hat einen Alibisudetendeutschen. Und zwei Tschechen“, bemerkte Alexandra Mostýn auf ihrer Facebook-Seite, und meine hiermit eigentlich Wolfgang Habermann, Jan Šinágl und Tomáš Pecina, die drei Gründer der „neuen Landsmannachaft“. „Ich finde, diese beiden Kaschper können eigentlich nur Schaden anrichten“, meinte sie auch noch in Richtung der zwei letztgenannten Vereinsfunktionäre.

Die Landesversammlung der Deutschen in Böhmen, Mähren und (Mährisch) Schlesien, die besagte Dachorganisation der Deutschen in Tschechien und hiermit auch einer der zwei deutschen Minderheitenverbände, die Bernd Posselt neben dem offiziellen Sudetendeutschen Büro in Prag als einzige „Partner“ der Münchner Sudetendeutschen Landsmannschaft akzeptiert, scheint jedenfalls ein merkwürdiges Geschichtsbild zu vertreten: In ihrer neuen „Willenserklärung“ aus dem Jahre 2012 meinen die Vertreter der Dachorganisation etwa: „Das jahrhundertelange vorwiegend friedliche Miteinander in Böhmen, Mähren und Schlesien wurde vor allem im 20. Jahrhundert durch den Nationalsozialismus größtenteils zerstört und endete schließlich mit einer Katastrophe, der auch das tschechische Volk zum Opfer fiel. Fast alle deutschen Bewohner Böhmens, Mährens und Schlesiens wurden nach dem Ende des II. Weltkrieges vertrieben; die im Lande – meistens unter Zwang –Verbliebenen wurden zu Menschen zweiter Klasse degradiert.“ Man könnte daraus leicht schließen, für die Vertreibung der deutschen Bevölkerung und die Degradierung der im Land verbliebenen Restbevölkerung sei allein der Nationalsozialismus verantwortlich.

Mangelnde Kenntnisse der Zeitgeschichte dürften übrigens die LandesEcho-Chefredakteurin unlängst zu einer peinlichen Aussage über die Opferzahlen der tschechischen Bevölkerung während des Zweiten Weltkrieges geführt haben. In einem erst diese Woche in der Wiener Zeitung veröffentlichten (20. 5. 2015) Gastkommentar berichtete Alexandra Mostýn anläßlich der geplanten Ausstrahlung einer umstrittenen „Reality Soap“ mit dem Titel „Urlaub im Protektorat“ im tschechischen Staatsfernsehen: „Schon vor der ersten Ausstrahlung ist die Serie umstritten. Wird in der Serie nicht eine Diktatur verharmlost, der 400.000 Tschechen zum Opfer gefallen sind, fragen sich jetzt viele..“

Tatsächlich sprechen jedoch selbst offizielle tschechische Historiker seit einem halben Jahrhundert höchstens von „360.000 tschechoslowakischen Opfern“, keineswegs also von „tschechischen“ Opfern – wohlbemerkt: die Angabe bezieht sich auf das gesamte Gebiet der „vor München“-Tschechoslowakei, also samt der Karpatoukraine, und schließt die jüdischen Opfer (auch mit deutscher, slowakischer, ungarischer Muttersprache, also keinesfalls Tschechen) mit ein. Tschechische Historiker beziffern die allein auf das Protektorat bezogene Opferzahl jedoch mit 122.000, einschließlich 73.000 Juden, 6500 Roma und Sinti und 3461 Opfer des „totalen Einsatzes“ (sprich: fast ausschließlich Opfer der alliierten Luftangriffe), sowie etwa 8000 Opfer des „nationalen Aufstandes“ im Mai 1945. Aus einigermaßen nachvollziehbaren Gründen nennen die tschechischen Historiker jedoch keine konkrete Zahl der im Protektorat getöteten oder umgekommenen Tschechen – diese läßt sich allerdings anhand der vorgelegten Zahlen leicht erahnen und dürfte von „400.000“ meilenweit entfernt sein. Damit übertrifft Alexandra Mostýn – immerhin Chefredakteurin einer offiziellen Zeitung der verbliebenen deutschen Minderheit in Böhmen, Mähren und Schlesien – selbst die kühnsten „Märchenerzählungen“ der erklärten Gegner der Sudetendeutschen im umstrittenen tschechischen Verband der Freiheitskämpfer. (-lb-)