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neděle 19. dubna 2015

Tomáš Pecina: „Wichtigster Wendepunkt nach 70 Jahren deutsch-tschechischer Beziehungen“

Pecinas Rede auf der Hauptversammlung der Sudetendeutschen Landsmannschaft in Böhmen, Mähren und Schlesien (Prag, 8. April 2015)
Zum Abschluß der Hauptversammlung am 8. April in Prag stellten sich die 
Gründer des Vereines den Fragen der anwesenden Pressevertreter sowie der 
erschienenen Gäste. Als Gast dieser Veranstaltung erschien Felix Vogt-Gruber
der stellvertretende Landesobmann der Sudetendeutschen Landsmannschaft 
Bayern (links), rechts von ihm die Vereinsgründer Tomáš Pecina
Wolfgang Habermann und Jan Šinágl. Foto: L. Beer
Meine lieben Mitglieder der Sudetendeutschen Landsmannschaft!
Liebe Freunde!
Sehr verehrte Gäste!

Ich gehöre jener Generation an, für die es einer der wichtigsten, öffentliche Belange betreffenden Höhepunkte bzw. eines der stärksten Momente des Lebens war, als an einem regnerischen Herbsttage Ende November 1989 am Prager Sommerberg ein Liedermacher – damals ein Emigrant – Jaroslav Hutka mit seiner Gitarre aufgetreten ist und ein Lied davon sang, was denn auf dieser Welt das Schönste, das Beste, das Ödeste und das Mächtigste wäre – Sie alle dürften dieses Lied kennen und werden sich an dieses Stück sicherlich noch erinnern können.

In diesem Lied singt man unter anderem davon, daß das Allmächtigste ein wahrhaftiges Wort sei. Damals hatten wir scheinbar gar nichts, und sie, die anderen, hatten alles: Sie hatten eine mit Knüppeln und Wasserwerfern ausgerüstete Polizei, eine bis an die Zähne bewaffnete Armee, Volksmilizen, einen mächtigen Propaganda-Apparat, bestehend aus Lakaien und Hilfsbütteln, die bereit waren, uns alle, so wie wir damals am Sommerberg versammelt waren, mit einem Federstrich zu käuflichen Verrätern, Außenseitern und öffentlichen Feinden zu erklären. Wir hatten gegen sie nur eines in der Hand: wir hatten recht.

Ich weiß, daß die Dinge nicht so einfach waren bzw. sind, dennoch verspüre ich heute ein starkes Déjà-vu-Erlebnis. Auch heute stehen auf der einen Seite die Sudetendeutschen, und gegen sie steht ein Volk, dessen übergroße Mehrheit, womöglich zu 95 %, glauben mag, daß die Vertreibung und Beraubung der deutschen Volksgruppe im Jahre 1945 im Grunde genommen eine richtige und nachvollziehbare Maßnahme gewesen war und daß das einzige, relativ nebensächliche Problem nur die sogenannten Exzesse sein dürften, die sich im Laufe der von ihnen als „wilde Vertreibung“ bezeichneten Geschehnisse ereigneten.

Die Sudetendeutschen haben heute ebenso nichts: Sie haben keine Unterstützung ihrer Regierung. Diese hat durch ihre Handlungen zu wiederholtem Male an den Tag gelegt, für die Sudetendeutschen nichts Greifbares bzw. Konkretes unternehmen zu wollen, und zu guter letzt verloren sie auch die Unterstützung ihrer eigenen traditionellen Stammorganisation, der Sudetendeutschen Landsmannschaft, welche ihre eigenen Statuten in einer Weise geändert hat, die keinen Zweifel darüber aufkommen läßt, daß auch sie sich fortan in Sachen der Ansprüche der vertriebenen Bürger der Tschechoslowakischen Republik deutscher Abstammung keineswegs zu engagieren gedenkt. Folglich haben sie nichts; bis auf das einzige: sie haben Recht.

Immerhin geschah im vergangenen Monat etwas, woran wir alle langsam nicht mehr glauben wollten: Die Tschechische Republik wurde nach fünfjährigem Rechtsstreit gezwungen, zuzugestehen, daß die Wahrheit in der Öffentlichkeit ihre Verbreitung finden darf und daß auch tschechische Bürger dasselbe sagen dürfen, was bis zum heutigen Tage nur ein Privileg der „feindlichen Ausländer“ war, nämlich daß die Vertreibung der Sudetendeutschen eine ethnische Säuberung, ein Verbrechen bzw. ein Völkermord, und daß unser verehrter Herr Ex- Präsident, unser aller Landesvater Edvard Beneš, ein Kriegsverbrecher gewesen war. Und fernerhin, daß wir, die Tschechen, ein Anrecht darauf haben, zu verlangen, unsere nationale Geschichte von dieser Schmach zu befreien und das Sakrileg wenigstens dort, wo es möglich ist, wiedergutzumachen.

Lassen wir uns aber nicht täuschen: In der ganzen langen Geschichte der tschechisch-deutschen Beziehungen gibt es kein wichtigeres Datum, keinen wichtigeren Wendepunkt. Nicht irgendwelche internationalen tschechisch-deutschen Staatsverträge und schon gar nicht die sog. „Deutsch-Tschechische-Erklärung“ können für sich in Anspruch nehmen, einen solch wichtigen Meilenstein darzustellen, zumal sich die letztgenannte nur als listige Mogelpackung herausstellte, um das Problem unter den Teppich zu kehren. Nichts von dem ist wichtiger als das Urteil des Obersten Verwaltungsgerichtshofes, welches uns ermöglichte, als eingetragener Verein zu fungieren und dabei jene Ziele zu realisieren, über die ich vorhin sprach: Dies alles zum ersten Male nach 70 Jahren.

Allerdings sollten wir uns auch insofern nicht aufs Glatteis führen lassen, daß der errungene Erfolg für die sudetendeutsche Sache etwa unmittelbare Folgen nach sich ziehen könnte. Über die Vollendung dessen, was wir hier anstreben, werden erst nächste, womöglich sogar übernächste Generationen der Tschechen und der Sudetendeutschen sprechen können, unsere Kinder und Kindeskinder.

Dennoch ist es erfreulich, unsere Tätigkeit in Angriff nehmen zu können. Dabei sollten wir uns vielleicht jene Geschichte in Erinnerung rufen, die John F. Kennedy gerne zu erzählen pflegte, nämlich die des französischen Marschalls Hubert Lyautey. Dieser soll einmal seinem Gärtner den Befehl erteilt haben, einen Baum zu pflanzen. Der Gärtner widersprach ihm: der Baum wachse langsam und es werde ein halbes Jahrhundert dauern, bis er zu fruchten beginne. „In diesem Falle“, entgegnete ihm der alte Marschall, „in diesem Falle dürfen wir keine Zeit verlieren. Pflanzen sie ihn noch heute!“ Daher lassen Sie auch uns die Arbeit beginnen, für die wir uns den notwendigen Hand- lungsspielraum erkämpft haben. Wir sollten noch heute anpacken.

Gestatten Sie mir, abschließend ein Paar kurze Sätze zu sagen, sowohl zu den Zielsetzungen unseres Vereins als auch zu den Beziehungen jener zwei Volksgruppen, die über Jahrhunderte hinweg ein gemeinsames Heimatland geteilt haben, in dessen Hauptstadt wir uns heute zusammengefunden haben, und auch dazu, wie man diese Beziehungen neu beleben, wiederaufrichten und weiter entfalten kann.

Entsetzt und mit Sorge sehe ich seit Jahren die Inbrunst, mit der man in diversen Kundgebungen und Foren in diesem Zusammenhang immer und immer wieder von „Versöhnung“ daherredet und nicht weniger inbrünstig ein anderer Begriff hingegen auf konstante Ablehnung stößt, nämlich „die Gerechtigkeit“. Nun, ohne Gerechtigkeit gibt es keine wirkliche Versöhnung. Ohne Gerechtigkeit bietet sich für die einen nur Kapitulation, für die anderen das Gefühl eines scheinheiligen, opportunistischen Sieges.

Lassen Sie uns nach Gerechtigkeit trachten, denn sie nimmt in der Hierarchie der menschlichen Werte eine sehr hohe, womöglich sogar die höchste Stellung ein. Eine Gesellschaft, in der die Gerichte anstelle der Gerechtigkeit lediglich die Versöhnung zwischen dem Opfer und dem Täter anstreben, wird unverzüglich zu Grunde gehen, denn der Frieden, ein Status eines einvernehmlichen menschlichen Zusammenlebens, ist letzten Endes nur eine Schlußfolgerung der zwischenmenschlichen Beziehungen, die im Einklang mit der natürlichen Ordnung geregelt sind. Nur sie kann gerecht sein.

Gestatten Sie mir auch den nächsten Punkt, den ich erörtern möchte, wieder mit einem Zitat zu beginnen. Ich bitte Sie um Verständnis, daß ich mich, was dessen Autoren anbelangt, wiederholen werde: „Frage nicht, was dein Land für Dich tun kann, sondern was Du für Dein Land tun kannst!“

Unser Verein ist, und unter allen erdenklichen Umständen sollte er das auch sein, ein Gewinn für dieses Land, für unsere Heimat, die wir lieben und für die wir nur das beste wünschen.

Selbstredend ist die Loyalität gegenüber der Heimat nicht gleichzusetzen mit der Loyalität gegenüber ihrer Regierung. Sie ist keineswegs Ausdruck eines blinden Gehorsams oder einer bequemen Konformität. Diese Gesetzestreue ist in erster Linie der Ausdruck echten Bürgermutes. Deswegen sind wir entschlossen, im Rahmen einer Wiedergutmachung der einstigen Ungerechtigkeiten auch die Rechte von jenen zu wahren, die das sudetendeutsche Vermögen mala fide vermeintlich erworben haben, und zwar in gewiefter Zuversicht bzw. wohl wissend, daß sich der Staat dieses Vermögen unter der unzulässigen Anwendung des Prinzips der kollektiven Schuld und der Diskriminierung wegen der ethnischen Herkunft unter die Nägel gerissen hat. Genauso wie es für uns unvorstellbar ist, Gebietsansprüche zu stellen und die Änderung der Grenzen der Tschechischen Republik zu beabsichtigen, müssen wir uns auch in dieser Frage als verantwortungsvolle Bürger unseres Landes gebärden und darauf bestehen, daß jedem einzelnen, der im Besitz eines zu Unrecht enteigneten sudetendeutschen Vermögens ist, ein entsprechender Ausgleich zuteil werden wird.(1)

Und zu guter letzt: Jene Geschehnisse, welche unser Programm wiedergutzumachen sucht, sollten uns eine heilsame Lehre bzw. Lektion erteilen. Die Deutschen haben aus der Zeit des Dritten Reiches und dessen Zusammenbruchs ihre Lehre gezogen. Nun sind die Tschechen daran, selbiges zu tun. Dabei müssen sie nicht besonders viel machen: Es genügt, die Blüte der florierenden Grenzgebiete ihres Landes aus der Vorkriegszeit – also das Sudetenland – mit dem Zustand zu vergleichen, in dem sich diese Landschaften heutzutage befinden, und daraus die einzig dankbare historische Lehre zu ziehen, nämlich: So wie man die Wahrheit nicht herbeilügen kann, so kann man sich ebensowenig zum Reichtum und Wohlstand durchklauen.

Ich sehe mit tiefster Bestürzung, wie viele Tschechen nicht willig sind, einzugestehen, daß die unheilvolle Ära der kommunistischen Unterwerfung, auf die sich dieses Land einmal begab, ihren eigentlichen Anfang nicht im Jahre 1948 nahm, sondern bereits mit der Vertreibung und Beraubung der Sudetendeutschen begonnen hatte. Ihnen folgten dann die Unternehmer, die ohne Entschädigung ihres enteigneten industriellen Vermögens im Zuge der sogenannten „Verstaatlichung“ verblieben sind. Das gleiche Schicksal ereilte dann den Adel, die katholische Kirche, die Gewerbetreibenden, und schließlich waren wir an dem Punkt angelangt, an dem wir in der Tat um so weniger besaßen, um so mehr wir allen möglichen Feinden unseres Glückes etwas geklaut haben: Das deutsche Vermögen verdarb, die Industriebetriebe veralteten und wurden letztendlich konkurrenzunfähig, und die Gesellschaft, der die Kommunisten als neue Regenten des Staates den Himmel auf Erden für alle versprachen, war endgültig auf ein Niveau der unheilbaren moralischen Verdorbenheit und des Wertverfalls herabgesunken – bar jeder Hoffnung auf die Zukunft.

Diebstahl ist kein Weg zum Reichtum und Wohlstand: Der richtige Weg hierzu führt durch ehrliche Arbeit, gegenseitige Achtung und durch einen langsamen, über mehrere Generationen fortgehenden Aufbauprozeß einer funktionierenden, vorurteilsfreien Gesellschaft. Ich glaube, genau das sind Dinge, die die Sudetendeutschen recht gut verstehen und die wir, als Tschechen, von ihnen lernen sollten.

Meine Damen und Herren, ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit!

Prag, den 8. April 2015.

(1) Gemäß Art. 3 Abs. 7 der Vereinssatzung erkennt der Verein das Recht der Opfer der Vertreibung auf Schadenersatz sowie auf Wiedergutmachung des erlittenen nichtmateriellen Verlustes und auf Wiedererlangung des Eigentumsrechtes an dem widerrechtlich konfiszierten Vermögen an. Der Verein besteht gleichzeitig darauf, daß den bisherigen, vermeintlichen Eignern ein entsprechender Ausgleich für die zurückzugebenden Vermögenswerte vonseiten des tschechischen Staates zusteht.