Keineswegs die drei Angeklagten, aber vielmehr derjenige Sachverständige, der mit der Erarbeitung einer „gutachtlichen Stellungnahme“ zum Inhalt des Buches „Adolf Hitler: Reden“ beauftragt worden war und den Fall dadurch ins Rollen gebracht hatte, gehöre vor Gericht gestellt und müsse sich dort wegen Betrugs verantworten. Zumindest, wenn es nach Tomáš Pecina, dem bekannten tschechischen Rechtsaktivisten, gehen soll. Der erwähnte Sachverständige – die Rede ist vom tschechischen Staatshistoriker Jan B. Uhlíř – hatte dem Staat nämlich ein gepfeffertes Honorar für seine einschlägigen zwei Gutachten in Rechnung gestellt.
Zumal eine von ihm erarbeitete Stundenaufstellung offensichtlich realitätsferne Angaben ausweist: so will der Historiker neben seinem Hauptberuf (Militärhistorische Anstalt Prag) zusätzlich im Durchschnitt nicht weniger als 8,33 Stunden am Tag allein und ausschließlich mit der Arbeit am besagten Gutachten verbracht haben (bei einer 40 Stunden-Arbeitswoche würde somit das durchschnittliche Arbeitspensum über sechzehn Stunden täglich betragen). Wohlgemerkt: bei der Prager Militärhistorischen Anstalt handelt es sich um eine staatliche Institution. Selbst ein überdurchschnittlich begabter und arbeitsfreudiger Sachverständiger könne nie eine derartige Leistung vollbringen, führte Pecina in seiner Stellungnahme aus. Es sei denn, Uhrlířs Arbeitgeber – und das wäre in diesem Falle immerhin der tschechische Staat – würde es dulden, wenn einer seiner Angestellten sich den langweiligen Arbeitsalltag durch lukrative Nebenjobs verschönert. Spätestens jetzt müßten wohl beim Steuerzahler, falls nicht beim Richter selbst, die Alarmglocken läuten.
Doch rechtfertigen muß sich der Historiker Uhlíř für seine fragwürdige Rechnung vorerst noch nicht: er ist nicht einmal vor Gericht erschienen und ließ sich aus familiären Gründen, wie es heißt, entschuldigen. Und dies, obwohl sich im Städtischen Gericht in Brünn an diesem Tag alles um die von ihm verfaßte „gutachtliche Stellungnahme“ drehte, wegen der am 2. Juni gegen zwei Verlagseigentümer Pavel Kamas und Lukáš Novák, sowie gegen den Historiograph Lukáš Beer ein von den tschechischen Medien viel beachteter Prozeß geführt wurde.
Den Beschuldigten wird neben der Anklage wegen „Leugnung, Verharmlosung, Gutheißung oder Rechtfertigung des Völkermordes“ ein noch viel schwerwiegenderes Verbrechen zur Last gelegt: „Propagierung einer Bewegung, die nachweislich auf Unterdrückung der Menschenrechte bzw. Freiheiten des Menschen hinzielt und Rassenhaß predigt“, worauf laut tschechischem Strafgesetzbuch bis zu 10 Jahre Haft stehen. Der Verlag guidemedia etc hatte nämlich Ende 2012 auf gut 700 Seiten ein Werk in den Handel gebracht, welches 18 ausgewählte öffentliche Reden von Hitler, ungekürzt in die tschechische Sprache übertragen, zum Inhalt hat. Diese Reden wurden allerdings durch einleitende Kommentare und Überschriften ergänzt, die laut Uhlířs „gutachtlicher Stellungnahme“ eindeutig als Billigung und Rechtfertigung von Ansichten Adolf Hitlers und damit sogar des Völkermordes zu verstehen sind. Und dies obwohl die ausgewählten Reden "in keinster Weise" in Verbindung mit Völkermord gebracht werden können, meint hierzu Lukáš Beer, der Verfasser der einschlägigen Kommentare im Buch.
Eine fachkundige Auseinandersetzung mit Uhlířs Behauptungen war am Prozeßtag jedoch nicht zuletzt wegen Fernbleibens des Sachverständigen möglich. Im Gegensatz zu einem Gutachten kann sich eine „gutachtliche Stellungnahme“ auf die Kernpunkte der Beurteilung konzentrieren und muß nicht Befund und Zustandekommen der Ergebnisse genau dokumentieren. Man kann sich bei einer gutachtlichen Stellungnahme auf bereits vorliegende Untersuchungen beziehen, ohne diese im Detail prüfen zu müssen. Uhlířs gutachtliche Stellungnahme weist aus der Sicht der Verteidigung etliche Mängel auf, die von ihr – rein prozeßtechnisch gesehen – nur begrenzt erörtert werden dürfen, da es sich eben nicht um ein regelrechtes Gutachten handelt. Die Erstellung eines Gegengutachtens durch die Verteidigung ist dadurch in dieser Phase nicht gestattet. Daß sich die Staatsanwaltschaft in so einem heiklen und derart komplizierten Fall lediglich mit einer „gutachtlichen Stellungnahme“ begnüge und auf solcher die gesamte Anklage baue, sei ein eklatanter Versuch die Angeklagten in ihren Verteidigungsrechten zu beschränken, meint die Verteidigung der Verleger.
Sie hat allerdings am ersten Prozeßtag immerhin durchsetzen können, daß der Richter und seine zwei Beisitzenden alle von der Staatsanwaltschaft "bemängelten" Passagen aus dem Buch – es handelt sich um ein langes Vorwort und 18 einleitende Kommentare von Beer – ungekürzt und laut zu verlesen hatten. Nachdem das Vortragen eines einleitenden Kommentars zu einer Rede von Adolf Hitler bis zu einer Dreiviertelstunde in Anspruch nimmt, war bald absehbar, daß der Prozeß wegen Zeitmangels letztendlich vertagt werden müsse. Und tatsächlich sah sich der Richter nach drei Kapiteln vor gebannter Zuhörerschaft im Gerichtssaal gezwungen einen neuen Prozeßtermin festzulegen – dieser wurde vorläufig für den 9. Juli anberaumt.
Während die Gerichtsverhandlung nichts Relevantes und im Grunde auch nichts Neues zu Tage bringen konnte (die drei Angeklagten machten auf Anraten der Verteidigung von ihrem Entschlagungsrecht Gebrauch und sagten demzufolge nicht aus), sorgte knapp vor dem Prozeßbeginn jener Umstand für einige Aufregung, als die gut fünfzig Kopf zählende Gruppe von interessierten Zuschauern vor dem Gerichtssaal mit Erbitterung feststellen mußte, daß der für diese Verhandlung vorgesehene Raum lediglich über zwanzig Sitzplätze für die Öffentlichkeit verfügt. Merkwürdigerweise waren die meisten Sitzplätze vor Öffnung des Gerichtssaales für die Öffentlichkeit bereits durch einige „fremde“ Personen besetzt worden.
Während sich die drei Angeklagten vor Gericht in Schweigen hüllten – die eigentliche Beweisführung, zu der sie sich gegebenenfalls äußern wollten, kam auf Grund der Abwesenheit des Sachverständigen nicht zustande – übte Tomáš Pecina, wie bereits erwähnt, heftige Kritik an der Staatsanwaltschaft und allein an dem Umstand, daß die Mitarbeiter des kleinen Brünner Verlagshauses kriminalisiert und vor Gericht gezerrt werden. Dies war ihm im Rahmen seiner Aussage vor Gericht auch durchaus gegönnt, da neben den drei „natürlichen Personen“ Kamas, Beer und Novák auch das Verlagshaus guidemeida etc selbst angeklagt wurde und Tomáš Pecina das Unternehmen im Prozeß eben als Bevollmächtigter vertritt. Und dies sorgt für jene amüsante Konstellation, daß er als solcher im Ermittlungsverfahren gleicherweise verhört wurde und nun selbst im Prozeß auszusagen hat.
Pecina räumte in seiner Aussage ein, daß das tschechische Hitler-Reden-Buch durchaus nationalsozialistische Propaganda zum Inhalt habe, der Nationalsozialismus jedoch hierzulande eine „tote Ideologie“ sei – in der Tat sei in der Tschechischen Republik zur Zeit auch keine NS-Bewegung tätig. Er spielte offenbar auf eine Unvereinbarkeit der NS-Ideologie mit hiesigen „neonazistischen Gruppierungen“ an. Die Letzteren sollen nämlich laut der Staatsanwaltschaft in der herausgegebenen Schrift Inspiration suchen, worauf sich die Anklageschrift mit jenem schwerwiegenden Vorwurf der „Gründung“ einer demokratiefeindlichen Bewegung oder Organisation durch die Herausgabe des Buches stützt. Vor allem aber sei nach Pecinas Ermessen durch den Verfasser der Kommentare und des Vorwortes im Buch, Beer, explizit, verständlich und absolut nachvollziehbar dargestellt worden, daß es sich jeweils um Hitlers Ansichten handeln würde, und keineswegs um seine eigenen Äußerungen. Von Billigung der Asichten Hitlers könne daher keine Rede sein. Das Buch sei zwar auf „kontroverse Art“ verfasst und konzipiert worden, in rein sachlicher Hinsicht sei es jedoch völlig einwandfrei.
Pecina warnte auch davor in jene Zeiten zurückzufallen, wo das tschechoslowakische Fernsehen wie in den Zeiten vor 1989 jedes aus dem Westen übernommene Filmwerk mit entsprechender „erklärender Einleitung“ durch die TV-Ansagerinnen versah, in der es darum ging, dem Zuschauer darzulegen, in welchen politisch-ideologischen Kontext er die im Streifen gezeigten Abhandlungen und Szenen zu setzen hat. Pecina erinnerte in diesem Zusammenhang auch auf die Widersprüchlichkeit bei der Vorgehensweise der Kommunistischen Partei der Tschechoslowakei im Jahre 1977, die von ihren eigenen Bürgern massenhaft schriftliche Distanzierungen und öffentliche Verkündungen einer Ablehnung der „staatsfeindlichen“ Petition „Charta 77“ verlangte, ohne ihnen dabei allerdings Eiblick in den angeprangerten Petitionstext zu gewähren. So oder ähnlich dürfte es sich nun laut Pecina bei dem vorliegenden Hitler-Reden-Buch verhalten. Rechtsanwalt und Verteidiger der Angeklagten, Robert Cholenský, hält die Herausgabe des inkriminierten Schriftwerks sogar für ausgesprochen demokratieförderlich: „Die Lektüre macht den Lesern möglich zu erkennen, wodurch Hitler auf andere gewirkt hat, und darin sehe ich einen positiven Beitrag und nicht etwas, was unsere Demokratie etwa gefährden könnte“, meinte er gegenüber dem Fernsehsender TV Barrandov. (-lb-)