neděle 27. února 2011

Revanchismus auf den Kopf gestellt

"MF-DNES"-Journalist Jan Šebelka berichtet aus Haida über die Protestkundgebung gegen die Aufführung des Theaterstückes "32 Stunden zwischen Hund und Wolf"
Übersetzer: Mathilde Najdek
Verweis zum Artikel in MF DNES
Der Redakteur der Zeitung MF DNES verfolgte die Proteste gegen die Aufführung des Theaterstückes, das von einer Nachkriegs-Hinrichtung handelt. Bei einer Demo in Haida kriegte er es vor den Gegnern des Dramas mit regelrechter Angst zu tun.

Von außen betrachtet scheint die Zwistigkeit über das Denkmal der hingerichteten Deutschen in Haida sowie die vom Aussiger Schauspielstudio erfolgte Aufführung des Stückes „32 Stunden zwischen Hund und Wolf“ eher von geringer Bedeutung zu sein. Die Realität schaut jedoch viel ernster aus. Das Ereignis, das sich vor 65 Jahren abgespielt hat, nämlich die Hinrichtung von acht Deutschen, bei denen die Tschechoslowakische Armee angeblich Waffen gefunden hatte, ist in Haida ein heiβes Thema. Ich habe in der Stadt den Mittwochnachmittag und Abend verbracht, befand mich dort also zu jenem Zeitpunkt, als das Stück nach der gleichnamigen Novelle des örtlichen Autors im Städtischen Theater aufgeführt wurde. Welchen Eindruck ich von dem Besuch mitgenommen habe? Ich habe die ganze Nacht kein Auge zugemacht. Aber will wollen nicht vorgreifen.

Erster Akt: Pläne der Revanchisten…

Am Nachmittag besuchte den Bürgermeister der Stadt Brigadegeneral Alexander Beer, der als Panzerkommandant mit der Svoboda-Armee unter anderem bei Sokolow und Charkow gekämpft hat. Dieser rege vierundneunzigjährige Mann kam als Stellvertreter des Vorsitzenden der Tschechoslowakischen Gemeinde der Legionäre, um ein Wort für die Beseitigung des Denkmals durch die Stadtverwaltung einzulegen. Sein Ausspruch „Wenn das Denkmal nicht beseitigt wird, gibt es keinen Frieden!“ ertönte durchaus bedrohlich. Der im Krieg dreimal verwundete General behauptete von sich und seinen Kampfgenossen sie seien keine Antigermanen und ihre Bemühungen seien keineswegs gegen die Deutschen gerichtet. „Aber wir werden den Revanchismus nicht unterstützen!“, sagte er und mir ging durch den Kopf: „Die Pläne der Revanchisten ..(es folgt ein Ausspruch aus dem nach 1989 gedrehten tschechischen Film „Die schwarzen Barone“, der die Situation der vom Staat geächteten jungen Männer darstellte, die aus dem Adel, dem Bürgertum oder von Kulaken abstammten und in den sog. Technischen Einheiten unter schwersten fast Kerker-Bedingungen meistens auf unbegrenzte Zeit einberufen wurden und dienten. Sie galten als politisch unzuverlässig, hatten an ihren Uniformen schwarze Spiegel und wurden auf Baustellen, in Steinbrüchen und im Uranerzbergbau eingesetzt. Sie entstanden auf Vorschlag Bedřich Reicins, der dann Anfang der fünfziger Jahre in einem Schauprozess mit 10 anderen höchsten bolschewistischen Bonzen als jüdisches Komplott aufgehängt wurden. Diese Einheiten gab es zwischen 1950 bis 1954, ungefähr 40. 000 – 60 000 junge Männer wurden zu diesen Einheiten einberufen. Anmerkung des Übersetzers.)

Das Wort Revanchisten habe ich schon lange nicht vernommen. Es kam in der Zeit des Kalten Krieges häufig in Verwendung, auch während unserer Militärzeit war es ein geflügeltes Wort der Politruks (nach russischem Vorbild gab es in den Armeen der Ostblockländer sog. Politruks, politische Führungsoffiziere. Anmerkg. des Übersetzers). Seit dem weiß ich, dass der Revanchismus über eine Tendenz verfügt es jemandem heimzuzahlen, wobei eine Vergeltung, eine Ideologie und Politik der Rache mit einem Angriffskrieg zur Wiedergutmachung einer Niederlage verkündet und durchgesetzt wird. Irgendwie passte das aber heute nicht zusammen, das Mahnmal für erschossene Deutsche steht eher als Beweis für Versöhnung denn für Vergeltung.

Später mischte sich nach einer beruhigten und sachlichen Diskussion Robert Uksa ein, der Mitautor einer gegen das Mahnmal gerichteten Petition, eine Hauptgestalt aller drei Akte. Den Geist der Debatte außer Acht lassend griff er den Bürgermeister an und argumentierte mit der Bestattungsverordnung. Die Debatte wurde unübersichtlich. Es war über die Ideale Masaryks, über die Gesetzlosigkeit, ein Denkmal aufzustellen, über den Revanchismus die Rede, und so ähnlich. „Wir geben keine Ruhe, solange das Denkmal nicht weg ist“, hörte ich den General noch donnern, bevor ich ging.

Zweiter Akt: Pressekonferenz der Bobosíková (1989 vor der Wende bemühte sie sich um Anstellung im Zentralrat des Kommunistischen Jugendverbandes, schwenkte aber nach der „Samt“- Revolution 1989 sofort um und ging zum Fernsehen, zuerst kommentierte sie in einer täglichen Sendung die Abendnachrichten, dann war sie an der Wende 2000-2001 eine der beiden negativen Protagonisten in der tchechischen Fernsehkrise, seit 2004 sitzt sie für die Tschechei in Brüssel im EU-Parlament als Abgeordnete, 2008 kandidierte sie erfolglos für die Unabhängigen auf den Posten des Oberbürgermeisters in Prag, 2010 wurde sie von den Kommunisten als Präsidentschaftskandidatin aufgestellt, für 2012 kandidiert sie auf den Post des Präsidenten- sie doziert an der Hochschule das Fach Mediale Kommunikation – vor den letzten Wahlen schrie sie im Fernsehen, dass die Tschechen nicht als Hundehütte der Deutschen angehängt gehören, wofür sie sorgen würde! Anmerkg. des Übersetzers)

Das Granhotel Pražák, wo gegen die Aufführung des Theaterstückes die Partei Souveränität ihre Pressekonferenz abhielt – der Block Jana Bobosíková, und die örtliche Organisation des Tschechischen Verbandes der Freiheitskämpfer - hat schon bessere Zeiten erlebt.

„Uns stört am meisten, dass im Buch und auf den Plakaten steht, es würde sich um eine wahre Begebenheit handeln. Das ist schlichtweg erlogen!“, wiederholte Josef Doškář, wobei das Wort Lüge im Laufe des Nachmittags und Abends vielmals gebraucht wurde.

Jana Bobosíková zeigte sich zunächst als professionelle Politikerin. Sie sprach kurz, zutreffend und überzeugend, aber nur sofern man auf ihrer Seite steht. „Die historische Wahrheit darf nicht verfälscht werden. Wir sind hier, um dem Einhalt zu gebieten“, sagte sie unter anderem. Sie brachte an, dass das Schauspielstudio in Aussig an der Elbe überwiegend mit Geld vom Staat finanziert würde, also würde man mit dem Geld der Steuerzahler quasi SS-Leute feiern. Sie erhielt daraufhin lang anhaltenden Applaus von den ca. sechzig Anwesenden. Nur weniger als die Hälfte der Anwesenden kamen aus Haida, was auch vom Hotelpersonal und einigen Ortsansässigen bestätigt wurde.

Auf der Pressekonferenz der Bobosíková ergaben sich zwei Begebenheiten, die nicht unerwähnt bleiben sollen. Erstens verbot Josef Doškář der hiesigen Ärztin Lenka Šepsová den Zutritt. Diesen Namen wollen wir uns noch für später merken. Die zweite Begebenheit erinnerte mich an eine Wochenschau im Kino, als der kommunistische Staatsanwalt Urválek (Staatsanwalt während aller Schauprozesse der fünfziger Jahre, Anmerkg. des Übersetzers) über die Gruppe Vlado Klementis (alle Personen wurden aufgehängt, Anmerkg. des Übersetzers) wetterte. Bei mir kamen die gleichen Gefühle hoch, als Robert Uksa auf einer Leinwand irgendeine Aufnahme eines undeutlichen Fotos projizierte. Es waren zwei Personen in Uniform zu sehen, hinter ihnen standen drei Menschen. Die Tochter des erschossenen Oberarztes Träger, der Autor des Buches Jan Tichý und den dritten Namen habe ich leider vergessen. „Sehen Sie nur, wie sie unsere alten Legionäre verspotten!“, donnerte wie seinerzeit Urválek der Uksa zu jenem Bild, das im vom Rathaus 2010 veranstalteten Seminar „Haida 1945“ angefertigt wurde.

Dritter Akt: Im Saal flog eine Watschen…

Der heurige Winter ist grausam. Den Burschen, die vor dem Theater in Haida Fahnen hielten, machte das nicht viel aus, weil sie von einer Wolke von Alkohol umgeben waren. „Wisst ihr Burschen, was für Fahnen ihr da habt?“, deutete ich auf die weißblaue israelische Fahne. Der junge Mann (seine Bier und Rum-Fahne drängt sich auf) ist offensichtlich gut belehrt und antwortet, ich solle ihren Pressesprecher, Herrn Uksa, fragen. Ähnlich äußern sich auch die übrigen Fahnenträger. In einigen erkenne ich die Roma aus dem hiesigen Haus des Schreckens in der Krankenhausgasse. Robert Uksa, der in seiner Fabrik ca. 400 Leute beschäftigt, scheint das hiesige Spektakel zu organisieren. Übrigens bestätigten mir dies auch die Mitarbeiter des Theaters. So sollen viele Leute die Theater-Karten nicht angenommen haben – zum Teil sind sie bei ihm beschäftigt – aus Angst, dass das von ihm nicht goutiert werde.

An der kalten Luft wechselt ein Redner den anderen ab. Der ehemalige Journalist Zdeněk Stehlík, der Autor des Buches „Es ist nicht nur ein Kampf um den Stein“, deklamiert lautstark: „Herr Tichý ist ein Lügner und Betrüger! Ich sage das hier nur deshalb, damit er mich verklagt!“

Die Präsidentschaftskandidatin Jana Bobosíková steht mit ihrer Begleitung unter dem Transparent: „Wir lassen die Verdrehung der Geschichte nicht zu“. Wenn sie einen Bart hätte, würde sie sicher lachen. Dann taucht die Ärztin Lenka Šepsová mit ihrem Mann auf. Es fallen einige Worte. Ein weiteres Mitglied des Petitionsausschusses, Pavel Dany, schubst sie. In dem Augenblick kann sich ihr Mann nicht beherrschen. „Ich hab ihm eine reingehauen, ich musste meine Frau doch verteidigen. Das würde jeder tun!“, gab er etwas später als Erklärung ab.

Die Menge beginnt hysterisch zu schreien und zu klatschen: „Lidice, Lidice, Lidice!“

In dem Augenblick habe ich vor diesen Leuten regelrechte Angst bekommen. Es fehlten nur noch die weißen Kniestrümpfe und kurze Lederhosen. Mir war mit einem Mal klar geworden, wenn ich heute in Haida auf irgendwelche Revanchisten getroffen habe, dann muss es sich eben um diese friedliebenden Patrioten gehandelt haben, die die Beseitigung des Versöhnungsdenkmals fordern. Ich habe dann die ganze Nacht kein Auge zugemacht.

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Wenn die Teilnehmerin der Haidaer Demonstration Jana Bobosíková einen Bart hätte, würde sie darunter bestimmt lachen.