Lukas Beer
Im tschechischen Buchhandel erhältlich: "Němci" ("Deutsche"). Prager Staatsanwalt- schaft prüft nun wegen Volksverhetzung. |
Jiri Vacek, der für den Großteil des Buchinhalts verantwortlich zeichnet, läßt kein Blatt vor dem Mund, wenn er offen und unumwunden ausspricht, was er allgemein von „den Deutschen“ hält und dies im ganzen Buch an mehreren Stellen gleich in unterschiedlichen Aussagen zum besten gibt. Etwa wenn er über die jüngsten Angehörigen des vermeintlichen „Kriegsvolkes“ spricht: „Deutsche Kinder für gewöhnliche Kinder zu erachten, wie wir es gewohnt sind, wäre sehr irreführend“, meint er. Diese seien von vornherein als „Angehörige einer reinen nordischen Rasse“ und hiermit als Herrscher über die „Minderwertigen“ herangezogen worden, heißt es etwa im Buch. „Dieser Grundhaltung entsprechend, haben sie sich auch verhalten“, argumentiert Vacek, der allerdings kein Historiker ist, sondern sich hauptsächlich als „Mystiker“ sieht und mittlerweile stolz auf eine Reihe von seinen Schriften verweist, die sich vorwiegend mit der Lehre des indischen „Gurus“ Ramana Maharshi auseinandersetzen.
Der tschechischen Öffentlichkeit werde fortdauernd die „Wahrheit über die deutsche Besatzung und den am tschechischem Volk verübten Völkermord“ verschwiegen. Und im Falle des deutschen Endsieges wäre das gesamte tschechische Volk von den Besatzern anschließend niedergemetzelt worden. Als notwendigen Erklärungsbedarf in einer Landschaft der von „in deutscher Hand gehaltenen“ Massenmedien wollen die Verfasser im Klappentext des Buches die Beweggründe für ihren gewagten Schritt ins Metier der Geschichtschreibung sehen. Dem Anspruch auf qualifizierte historiographische Herangehensweise werden sie jedoch allein auf Grund einer Vielzahl von offensichtlich ahistorischen und vollkommen erdichteten Behauptungen im gesamten Werk eindeutig nicht gerecht. So wiederholen die Autoren beispielsweise allen Ernstes in etlichen Textpassagen völlig unrealistische Opferzahlen von „mehr als 300.000 durch Deutsche ermordeten Tschechen“ während der Protektoratszeit. Wohlgemerkt: die jüdischen Opfer werden von den Verfassern explizit nicht hinzugezählt, was dieser aus der Luft gegriffenen Zahl umso mehr Absurdität verleiht. Vacek geht in seiner Unkenntnis historischer Tatsachen sogar noch weiter und steigert sich in eine aberwitzige Schuldzuweisung hinein, die allein schon viel über den fachlichen Wert seines Buches aussagt. Die von Deutschen beherrschten Medien im Land seien nämlich schuld daran, daß die tschechische Opferzahl von „300.000“ wenig Beachtung fände; im Gegensatz zu den Juden, welche wesentlich weniger Opfer zu verbuchen gehabt hätten („70.000“). Tatsächlich geht die neueste tschechische Geschichtsforschung von ungefähr 122.000 Opfern im böhmisch-mährischen Raum 1939-1945 aus, wobei die jüdischen Opfer (etwa 75.000) und Opfer unter der Volksgruppe der Zigeuner (etwa 6000) sowie Tausende Opfer von Bombenangriffen durch die Alliierten in dieser Zahl bereits inkludiert sind.
Doch die eigentlichen Steine des Anstoßes sind für den Brünner Verleger Pavel Kamas nicht die im besagten Druckwerk zuhauf vorkommenden Geschichtslügen, die sich im Rahmen eines Diskurses flugs widerlegen ließen, sondern jene dreisten Auslassungen der Verfasser, mit denen über alle Personen deutscher Volkszugehörigkeit äußerst herabsetzend und verallgemeinernd hergefallen wird. Spätestens wenn Vacek in seinem Buch jene brachiale Empfehlung zur Lösung sudetendeutsch-tschechischer Spannungen bis 1945, die er angeblich in einer Diskussionsrunde unter tschechischen Studenten unmittelbar nach dem Kriegsende vernommen haben will, unverblümt gutheißt, steht für Kamas fest, daß an einer Strafanzeige gemäß des Volksverhetzungsparagraphen gegen Vacek und dessen Co-Autor Jiri Krutina kein Weg mehr vorbeiführt.
„Ran an die Maschinengewehre und alle Deutschen samt und sonders erschießen!“ soll die damalige Anregung an der Universität gelautet haben. Vacek fügt dem heutzutage lediglich in plumper Sprache hinzu: „Wen wundert´s? Sie hatten dasselbe mit uns vor… Wir haben damit nicht angefangen. Im Gegenteil: Wir hatten denen großzügigerweise die tschechoslowakische Staatsbürgerschaft gewährt.“ Im Kapitel „Tschechische Vergeltung“ wird dem Leser schon etwas eingehender erläutert, aus welchem Grund der Verfasser einer ausnahmslos an allen Sudetendeutschen nach dem Krieg vollstreckten „Todesstrafe“ nicht abgeneigt gewesen wäre. Seine „Argumente“ sind vollkommen deckungsgleich mit den neuerlichen Aussagen des nunmehrigen tschechischen Staatspräsidenten. „Ziel dieser Vergeltung waren nicht etwa brave und anständige Deutsche, sondern die Angehörigen eines Feindvolkes.“ Aus juristischer Sicht wäre also die Todesstrafe wegen Landesverrats durch das sudetendeutsche Volkstum angebracht gewesen, heißt es im Buch sinngemäß.
„Halb so wild“ würden sich für Pavel Kamas die gerade zitierten Aussagen darstellen, solange sie der Verfasser nicht in einen Kontext gesetzt hätte, der sich durchaus nicht nur auf die Zeit des Nationalsozialismus beschränkt. Die meisten in der Publikation veröffentlichten Urteile über „Deutsche“ sollen unmißverständlich eine uneingeschränkte Geltungsdauer haben. Kein Mitleid kennt Vacek mit ermordeten sudetendeutschen Frauen und Kindern: „Unaufhörlich wird uns das Schicksal armer deutscher Frauen und Kinder vorgeworfen. Es handelte sich aber um die gleichen Feinde wie im Falle der Männer, und im Falle der sudetacky [abfällige Bezeichnung sudetendeutscher Frauen; bewußt kleingeschrieben – Anm. Lukas Beer] geht es schlichtweg um Landesverräterinnen. Diese braven und unschuldigen Frauen haben gänzlich ruhigen Mutes ihre Kinder zuungunsten unterernährter tschechischer Kinder genährt und betrachteten dieses Verbrechen als eine Selbstverständlichkeit… Welche Einstellung deutsche Frauen wirklich hatten, das hat sich nach dem Kriege erwiesen. Deutsche Nonnen haben SS-Halsabschneider in ihren Klöstern versteckt. Es waren doch Patriotinnen, und sie waren voller christlicher Barmherzigkeit.“
Im Kapitel „Deutscher Charakter“ bekräftigt der Verfasser seine bisherigen Auffassungen, indem er ausführt: „Kennzeichnend für die Deutschen als Volk ist die Tatsache, daß sie tief im Inneren von ihrer übergeordneten Stellung über den anderen Nationen überzeugt sind und für sich daher auch ein Recht beanspruchen, über die anderen Völker zu regieren. Deswegen führen sie schon seit Jahrhunderten, seit dem Zeitalter der preußischen Könige, einen Krieg nach dem anderen: gegen Dänemark, Österreich, Bayern, Frankreich im Jahre 1870.“ Das Kapitel „Alle Deutschen waren Nazis“ soll das wahre Antlitz des „deutschen Geistes“ entlarven: „Nach dem Krieg hat sich für Deutsche, die Verbrechen begangen haben, die Bezeichnung Nazis eingebürgert. Dies ist ein klug durchdachter demagogischer Versuch, den Eindruck zu erwecken, wonach es im Krieg zwei Sorten von Deutschen gegeben habe: 1. Die Bösen – Nazis, 2. Die Braven, die mit Nazis und deren Verbrechen nichts zu tun hatten… Alle Deutschen – Männer, Frauen und auch heranwachsende Kinder – siehe Hitler-Jugend, „Hitlers Kinder“ – waren Nazis. Der Nazismus ist eine Ausdrucksform des deutschen Geistes, der die Träume von deutschen Übermenschen erfüllte, und von deren Anspruch, über alle zu regieren, die von ihnen für minderwertig gehalten wurden. Verbergen wir nicht die Realität, indem wir das Wort Nazis gebrauchen.“
Folgendermaßen wird von Vacek der Haß gegen alles Deutsche gerechtfertigt: „Der Krieg ist verloren, dennoch: die Deutschen töten weiter, nur zur eigenen Befriedigung. Das ist keineswegs nur ein unsinniges Niedermetzeln, das ist die Erfüllung ihrer Lüste. Wie kann jemand solche Un-Menschen, solche Mißgeburt-Gestalten entschuldigen und dies als Gerechtigkeit und Humanismus rechtfertigen, das sollten Psychologen gründlich untersuchen. Ich persönlich halte das für eine Deviation… Meines Erachtens muß diese Sorge von Pseudohumanisten um sie und das Herumkritisieren an ihren Opfern aus einer inneren, unterbewußten Verwandtschaft mit diesen entarteten Mördern entspringen. Für solche Tiere stellt die Lynchjustiz weitaus keine ausreichende Strafe dar. Viele von diesen Pseudohumanisten fragen, woher der Haß gegen Deutsche bei den Tschechen kommt: gerade hier hat er seinen Ursprung, in dem, was ich beschreibe, und nicht nur hier.“
Eine weitere Kostprobe aus dem Buch: „Dies ist die Grundwahrheit über die Deutschen: Sie haben beide Kriege mit dem Ziel, ganz Europa zu beherrschen, entfesselt, und sie alle tragen für die grausamen Folgen dieser Kriege Verantwortung. Unterstreichen wir: SIE ALLE. Im Krieg gibt es nur Freunde oder Feinde. Jegliches Geschwätz über anständige und unschuldige Bürger eines Feindstaates, der einen nicht provozierten Angriffskrieg entfesselt hat, ist nur eine Demagogie, die von ihnen die Schuld nehmen soll. Im Falle jener Deutschen, die über unsere Staatsangehörigkeit verfügten, handelt es sich nicht nur um Feinde, sondern außerdem noch um Verbrecher, die Hochverrat begangen haben.“
„Deutsche Frauen“ und „unschuldige deutsche Kinder“ werden im Buch des weiteren ausnahmslos als blutrünstige Mörderinnen und Mörder geschildert, woraus der Verfasser folgende Schlußfolgerung zieht: „Nicht sie, sondern ihre Opfer verdienen Mitgefühl. Das deutsche Volk in seiner Gesamtheit führte einen verbrecherischen Krieg, und das gesamte deutsche Volk – Männer, Frauen und Kinder – sind für ihn verantwortlich und haben diese Verantwortung zu tragen.“
Vacek bleibt dabei, daß diese „Mörderveranlagung“ tief im Deutschtum verwurzelt sei und diese Beschaffenheit des Volkes eben auch bis in die heutigen Tage hinein zum Ausdruck komme: „Die Unverschämtheit, mit der Deutsche sich selbst als Opfer zu bezeichnen pflegen und mit der sie sich selbst Denkmäler bauen lassen, ist insbesondere an Tausenden ermordeter tschechischer Kinder und Frauen ersichtlich. Darüber hinaus bestätigen sie, daß Deutsche zu ihrer Schuld nicht einmal stehen und diese ihnen nicht einmal bewußt ist. Sie sind schlichtweg immer die Gleichen geblieben und haben sich nicht geändert. Sie sind weiterhin der Meinung, etwas besonderes zu sein. Ja, das sind sie auch, aber eben diese Eigenschaft zeichnet sich durch ihre Verbrechen aus, die sie über sechs Jahre hinweg völlig ohne Scheu und in fester Überzeugung von ihrer entarteten Wahrheit und Straflosigkeit begangen haben, in ihrem Glauben in den Endsieg.“ Das „wahre Wesen des deutschen Charakters“ soll sich laut Vacek durch ein in einem tschechisch besiedelten Dorf in Wolhynien angerichtetes Blutbad enttarnt haben. Im Kapitel „Wie die Deutschen stahlen und plünderten“ bescheinigt Vacek einer ganzen Nation zwar weniger mordgierige Veranlagungen, aber immerhin noch Eigenschaften, mit denen sich kein Volk der Welt rühmen kann. „Das ist das wahre Antlitz der Deutschen: Wen sie niederzwingen, den berauben sie.“ Mit einem Volk, welches „Konzentrationslager errichtet und kleine Kinder tötet, indem sie es in einem LKW durch Auspuffgase ersticken läßt“, könne man sich laut Vacek ohnedies nie verständigen, geschweige denn in einem gemeinsamen Staat leben.
Über die Verkaufszahlen dieses Buchtitels liegen zwar keine Daten vor, und sie dürften in der Tat nicht gerade atemberaubend sein, das Buch wird zumindest in fast jeder tschechischen Weltnetz-Buchhandlung vertrieben. Und über den hetzerischen und unqualifizierten Inhalt dürfte sich ein halbwegs gebildeter Leser sein eigenes Urteil bilden, meint Verleger Kamas. Ungeachtet dessen gehe es ihm aber hauptsächlich darum, durch diesen Präzedenzfall potentielle Ungleichmäßigkeiten bei Behandlung durchaus vergleichbarer Fälle aufzuzeigen, zumal in dieser Sache die einschlägigen im Buch getätigten Aussagen äußerst heftig ausgefallen seien.
Die Staatsanwaltschaft in Prag bestätigte Anfang August den Eingang der Anzeige gegen Jiri Vacek und Jiri Krutina. Geprüft würden derzeit die Vorwürfe „Verunglimpfung des Volkes, der Rasse, der Volksgruppe oder einer anderen Personengruppe“, wie es einschlägig im tschechischen Strafgesetzbuch heißt, und des weiteren auch „Verhetzung gegen eine Personengruppe“.
Wenngleich über die Einreichung von Kamas´ Strafanzeige auch einige tschechische und slowakische Medien berichtet haben, dürfte sich das allgemeine Interesse für diesen Vorfall in Tschechien in Grenzen halten. Genau ein Jahr ist es her, als sich der tschechische Kriegsveteranenverband von „Freiheitskämpfern“ über ein im böhmischen Podiebrad (Poděbrady) aufgestelltes vermeintliches Veranstaltungsplakat der „Hitler-Jugend“ entrüstet zeigte, auf dem zu lesen stand: „Juden, Hunden und Tschechen Eintritt verboten!“. Eine tschechische „Künstlergruppe“ hatte auf diese (übrigens allen historischen Tatsachen widersprechende) Weise beabsichtigt „auf die ehemalige NS-Schreckensherrschaft“ in der Stadt aufmerksam zu machen. Die Empörung über das „menschenverachtende“, allerdings gefälschte HJ-Plakat war dermaßen hoch, daß es ein diesbezüglicher Bericht immerhin bis in die Hauptabendnachrichten des bekanntesten tschechischen TV-Privatsenders geschafft hat. Ein „selbstgebackener“, antideutsche Ressentiments weckender Aufreger quasi, wie ihn nicht nur tschechische Medien zustandebringen. Eine vergleichsweise Empörung wegen des jüngsten, tatsächlichen Falles von Volksverhetzung in Vaceks Buch ist in Tschechien jedoch kaum zu erwarten.
Und ausgerechnet einer der glühendsten und lautstarksten „Freiheitskämpfer“, der regelmäßig für das offizielle Presseorgan des Veteranenverbandes Hauptartikel verfaßt, bewirbt und empfiehlt das Buch „Němci“ eifrig in seinem Boskowitzer Kreis.
Nur am Rande sei erwähnt, daß weder ein in Böhmen und Mähren tätiges deutschsprachiges Medium, noch ein in Tschechien tätiger deutscher Kultur- oder Minderheitenverein, geschweige denn das Sudetendeutsche Büro in Prag die geringste Notiz von diesem Ereignis bzw. von dem hetzerischen Inhalt des besagten Buches nahm.
Jiri Vacek zeigt sich indessen von der Strafanzeige völlig unbeeindruckt und bewirbt mittlerweile unbeirrt einen neuen Buchtitel mit dem vielversprechenden Namen „Das entblößte Antlitz der Deutschen“.