Die Angeklagten Kamas und Beer müssen sich am 2. Juni in Brünn für die Herausgabe eines Buches vor Gericht verantworten. |
Gleichlaufend wird eine Anklage gegen das Verlagshaus guidemedia etc erhoben, das im Strafverfahren durch Tomáš Pecina, einen bekannten Bürgeraktivisten, vertreten wird. Der stellt für die tschechische Justiz sicherlich kein unbeschriebenes Blatt dar, wenngleich aus etwas anderen Gründen: auf seine Beschwerde hin sah sich das tschechische Verfassungsgericht 2010 nach langem Ringen und Zögern gezwungen, ein Urteil zu verhängen, wonach die tschechischen Gerichte vor den Bürgern die kommunistische Vergangenheit der einzelnen Richter nicht mehr geheimhalten dürfen. (Diesbezüglicher Bericht von Radio Prag HIER.)
Über die Hintergründe und den genauen Wortlaut der ersten Anklage haben wir bereits ausführlichst berichtet. Der ursprüngliche Sachverhalt der Anklage („Gutheißung und Rechtfertigung des Völkermordes“) wurde allerdings insofern erweitert, als daß die Betroffenen nunmehr auch noch beschuldigt werden, durch die Herausgabe und die Vertreibung des Buches „Propagierung“ der NS-Ideologie zu betreiben. Ein Tatbestand, der im Falle einer Verurteilung allerdings mit einer wesentlich höheren Strafe belegt ist – der Strafrahmen beträgt hier drei bis zehn Jahre Freiheitsentzug. Über die laufenden Ermittlungen hatten teilweise auch bedeutende tschechische Medien berichtet. Bemerkenswerterweise scheinen überraschend viele Tschechen wenig Verständnis für die polizeilichen Maßnahmen gegen die Verleger und den angeklagten Autor zu zeigen, was insbesondere in diversen Diskussionsforen im Weltnetz des Öfteren zum Ausdruck kommt, zustimmende Aussagen der „einfachen Bürger“ stellen hier eher eine Ausnahme dar.
Jede der achtzehn vollständig übersetzten Reden von Adolf Hitler hat Lukas Beer jeweils mit einem Geleitwort versehen, in dem er zumeist nur das von dem Redner Gesagte zusammenfasst, und zwar durch klar erkenntliches indirektes Zitieren. Unter Umständen hat er auch Erläuterungen und detailliertere Ausführungen zu etlichen in den Reden getätigten Aussagen hinzugefügt. Die ausgewählten Reden beziehen sich oft auch auf die deutsch-tschechischen Beziehungen.
Um im Vorfeld etwaigen Fehldeutungen vorzubeugen, stellt Beer bereits im eigentlichen Vorwort zum Buch unmissverständlich fest: „Die Verfasser dieses Buches haben es sich ausdrücklich nicht zur Aufgabe gemacht, seinerzeitige öffentliche Reden von Hitler einer Analyse zu unterziehen oder deren Inhalt auf den Wahrheitsgehalt hin zu überprüfen, geschweige denn mit diesem in sachlicher oder weltanschaulicher Weise auf welche Art auch immer nur zu polemisieren“, denn dies hätte den Rahmen dieser Publikation eindeutig gesprengt. Und derartigen Anforderungen und Ansprüchen hätte man in jenem Rahmen, der für die Anzahl der ausgesuchten Reden zur Verfügung stand, mit Gewissheit keineswegs zufriedenstellend Rechnung tragen können. Beer fügt dem ebenfalls ausdrucksvoll hinzu: „Der heutige Leser befindet sich so quasi in der Lage eines Zeitzeugen, der allerdings im Gegensatz zu damaligen Zeitgenossen über einen nicht unwesentlichen Vorteil verfügt. Er vermag es, den vorliegenden Lesestoff anhand heute zugänglicher Informationen und Studien, die auf dem neuesten Stand der Geschichtsforschung beruhen, als eine unverfälschte Unterlage in nicht abstreitbare Zusammenhänge zu bringen und alle Behauptungen des Redners kritisch mit diesen Tatsachen zu konfrontieren.“
Der Staatsanwalt Jan Petrasek stützt seine Anklage pikanterweise auf ein Gutachten des umstrittenen Prager Militärhistorikers Jan B. Uhlíř. Dieser ortet in den besagten Hitler-Reden „Gedanken und Grundsätze des Nationalsozialismus“ und in den Kommentaren zu den einzelnen Reden, verfaßt von Lukas Beer, auch noch „Billigung von Auffassungen Adolf Hitlers, folglich von Auffassungen des Nationalsozialismus einschließlich des Nazi-Völkermordes und weiterer Verbrechen gegen die Menschlichkeit“. Dies weist Beer aufs Schärfste zurück und verweist diesbezüglich auch auf seine eindeutige Distanzierung in seinem Vorwort, wo auch die Methodik des Hitler-Reden-Buches für jeden verständlich dargelegt und der Zweck der einleitenden Kommentare eindeutig ersichtlich sei. Des Weiteren nimmt Beer Anstoß an der Tatsache, daß der von den tschechischen Medien oft interviewte tschechische Historiker und Sokol-Funktionär Uhlíř sich selbst in seinem bekanntesten Werk („Protektorat Böhmen und Mähren in Bildern“, 2008) „einer dreisten und äußerst peinlichen Fälschung“ eines Alfred-Rosenberg-Zitates über das tschechische Volk zwecks Unterstreichung „einer seiner zweifelhaften geschichtlichen Thesen“ bediente. Entdeckt worden ist diese offensichtliche Zitat-Fälschung ausgerechnet vom Publizisten Lukas Beer durch eine eher zufällige Recherche. „Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, zumal ausgerechnet der tschechische Staatshistoriker Jan B. Uhlíř – gerade entweder als Lügner oder eben als Amateur entlarvt – am Anfang einer Geschichte steht, deren Verlauf nicht skandalöser und befremdender sein könnte“, fügt Beer hinzu.
Vor einem Monat präsentierte Lukas Beer ein neues, diesmal völlig anders konzipiertes und ebenfalls auf Tschechisch verfaßtes Buch "Hitlers Tschechen" – eine umfangreiche Studie, die sich auf zumeist von der bisherigen tschechischen Geschichtsschreibung wenig bis überhaupt nicht berücksichtigte Archivquellen stützt und viele Tabu-Themen der tschechischen Protektoratsgeschichte anspricht.
Ein ausführlicher Artikel über den Wortlaut der erweiterten Anklageschrift folgt!